Historisches Sachsen
Das Portal für die Schlösser, Burgen und historischen Ruinen im Freistaat Sachsen
Ober Neundorf   
 
Allgemeines
 
Information

Landkreis Görlitz

Beschreibung
Das Waldhufendorf Ober Neundorf tritt durch seine gesicherte Nennung 1406 erstmalig als Newendorff in die Geschichte ein. Das landwirtschaftlich geprägte Dorf wurde lange vom örtlichen Rittergut dominiert. Ein Großteil seiner Einwohner waren Bauern, die im Gut arbeiteten.
Schon im Mittelalter befand sich hier ein Herrensitz, der durch einen Wall und Wassergraben gesichert war. Daraus ging in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert unter der Familie von Warnsdorf ein Renaissanceschloss hervor, das noch heute unvergleichlich reiche Sgraffitoreste aufweist. Diese wurden entdeckt, als die Treuhandanstalt den Verkauf des Anwesens vorbereitete. Sie stellen ein herausragendes Zeugnis für adlige Wohnkultur der Renaissance in der Oberlausitz dar.
Sgraffito, aus dem italienischen Sprachgebrauch abgeleitet, ist eine Putzkratztechnik, die besonders im Italien des 16. Jahrhunderts Verbreitung fand. Zugleich gelangte sie durch die Renaissancebaumeister nach Deutschland und wurde von den hiesigen Handwerkern mit Begeisterung aufgenommen. Man überzog die Fassade mit einer schwarzen Grundschicht und einer weiße Deckschicht. Durch Wegkratzen des noch frischen, weichen Putzes kam die schwarze Schicht zum Vorschein. So entstanden bildliche oder ornamentale Dekorationen, die auch bei ungünstigen Witterungsbedingungen lange haltbar waren.
Neben einer wiederhergestellten Fläche am Turm des Schlosses Ebersbach bei Görlitz besitzt das Schloss in Ober Neundorf den anschaulichsten Bestand an Sgraffitodekorationen. Sprüche, Jagdszenen und eine Diamantquaderung sind ebenso vorhanden, wie Felder mit einfachem Blattwerk. 1992/93 wurden Felder als Proben zur Rekonstruktion des Sgraffitoputzes angebracht.
Der auf T-förmigem Grundriss errichtete Bruchsteinbau besitzt drei Geschosse und wird nach oben durch ein steiles Satteldach mit fünf Fledermausgauben abgeschlossen. Seine Volutengiebel in Renaissanceformen wurden in den 1960er Jahren bei einer Dachinstandsetzung abgebrochen. Noch vorhanden sind zwei schöne, mit Wappen verzierte Sandsteinportale. Bedeutend ist das Sandsteinportal an der Ostseite, das von rustizierten Pilastern, die einen Architrav mit Beschlagwerk tragen, gerahmt wird. Darüber erinnert das gekrönte Allianzwappen der Familien von Gersdorff und von der Sahla an Rosina Patientia von Gersdorff, geb. von der Sahla, die 1700 das Schloss erwarb. Die Familie von Gersdorff ist ein uradliges Geschlecht mit gleichnamigem Stammhaus in Gersdorf in der Oberlausitz, das seit dem 14. Jahrhundert in Diensten verschiedener Fürsten, insbesondere der Kurfürsten von Sachsen und der böhmischen Könige, tätig war.
Im Innern des Schlosses beeindruckt im Erdgeschoss eine dreijochige, kreuzgratgewölbte Halle, von deren Stirnseite ein Treppenhaus in die Obergeschosse führt. Im ersten Obergeschoss befanden sich die Repräsentationsräume des Schlosses. Im zweiten Obergeschoss hat sich in der Diele eine Holzkassettendecke aus dem Ende des 16. Jahrhunderts erhalten.
Bereits nach vier Jahren veräußerte Frau von Gersdorff das Anwesen an ihren Schwiegersohn Johann Rudolph von Schönberg. Mit Dr. Karl Gottlob Anton, der 1782 das Gut Ober Neundorf erwarb, zog ein bedeutender Jurist und Gelehrter in das Schloss ein. 1779 schlug er dem Gutsherrn und Naturforscher Adolf Traugott von Gersdorff vor, die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften zu gründen. Anton hatte sich in der Oberlausitz als Historiker, Sprachforscher und Verfasser zahlreicher Schriften einen Namen gemacht. Seine Werke weisen ihn als hervorragenden Kenner der sorbischen Sprache und Kultur aus. Für seine Verdienste erhielt er 1802 den Reichsadelsstand.
Antons Witwe verkaufte das Gut 1822 an Hermann Adolph Schneider, dem zahlreiche weitere Eigentümer folgen sollten. Mit Olga Freifrau von Stein zu Kochberg musste die letzte Gutsbesitzerin nach dem Zweiten Weltkrieg das Schloss verlassen. Dann diente es als Wohnhaus, doch die Bausubstanz verkam immer mehr. Auch als die Treuhandanstalt in den 1990er Jahren eine Notsicherung vornahm, gelang es nicht, eine adäquate Nutzung zu finden. Zwischenzeitlich gelangte Ober Neundorf 2001 zwar in Privatbesitz, doch der Verfall ging weiter. Der weite Gutshof wirkte verlassen; Bäume und Sträucher überwucherten das Anwesen. Mit dem Erwerb großer Teile des Wirtschaftshofes durch einen neuen Eigentümer im Jahr 2015 sind jedoch erste sichtbare Sanierungsmaßnahmen erfolgt. Es bleibt nur zu hoffen, dass dieses schöne und wegen seiner Sgraffitodekoration einmalige Schloss bald wieder in seinem alten Glanz erstrahlt.
 
Bildergalerie
Schloss Ober Neundorf
Sgraffitodekoration
Sgraffitoputz
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